20.01.2010 - Tages-Anzeiger

Idylle gefährdet – die Angst vor einer neuen Rosengartenstrasse geht um

Das rechte Wipkinger und Höngger Limmatufer entlang fahren täglich

so viele Autos wie durch den Gotthardtunnel. Und verursachen morgens und abends Stau.

tagi200110

 

 

Zwischen dem alten Riegelhaus und dem Bootshaus an der Limmat fahren täglich 15 000 Pendler durch. Foto: Dominique Meienberg

 

Von Carmen Roshard

Das Bootshaus eines Ruderklubs, ein geschütztes Riegelhaus, Schrebergärten und erwilderte Böschungen zeugen von der einstigen Idylle am rechten Limmatufer. Seit einigen Monaten ist nichts mehr, wie es einst war. Die nur gerade fünfeinhalb Meter breite Strasse Am Wasser ist zum Ein- und Ausfallkanal für den Verkehr zwischen Zürich und dem Unterland geworden. Knapp 15 000 Autos befahren diesen schmalen Streifen Asphalt jeden Tag, über 20 Prozent mehr, als an einem normalen Werktag durch den Gotthardtunnel brausen. Fussgänger kommen kaum mehr über die Strasse, und weil der Platz für Velofahrer und Autos nicht reicht, kommt es täglich zu gefährlichen Situationen.

Die Stadt vertröstete die Quartierbewohner an einer Infoveranstaltung der Interessengemeinschaft Am Wasser/ Breitensteinstrasse (IGAWB) im vergangenen Dezember auf Mai 2010. Dann soll die Abfahrtsrampe von der Hardbrücke zur Hardturmstrasse wieder offen sein und den Verkehr an der Limmat zwischen Europabrücke und Wipkingerplatz entlasten. Spätestens dann werde der Verkehr rechts der Limmat entlang mittels Rotlichtsteuerung im Zaum gehalten, versprach die Stadt.

«Der Mehrverkehr ist unseres Erachtens zeitlich begrenzt», sagen die Verantwortlichen der Dienstabteilung Verkehr. «Im Sinne des Funktionierens des Gesamtsystems ist der Mehrverkehr rechts der Limmat unerfreulich, jedoch unumgänglich.»

 

Niemand übernimmt Führung

 

In Wipkingen verhallen solche Worte im Verkehrslärm. Quartiervereinspräsident Beni Weder: «Ich glaube an gar nichts mehr.» Sein Höngger Amtskollege Ueli Stahel klagt: «Beim Verkehrspuff im Kreis 10 hat bei der Stadt niemand den Mut, die Führung zu übernehmen.» Und der Grund liegt – wie oft in der Verkehrspolitik – in einem Konflikt mit dem Kanton. Die Strasse Am Wasser ist als regionale Verkehrsachse kategorisiert. Das heisst, der Kanton hat beim Ausbau das Sagen. Und genau das ist die Krux. Weil die Kanalisations- und Elektroleitungen unter der Uferstrasse ohnehin dringend saniert werden müssen, wollen die Verkehrsplaner das Problem nämlich so lösen, wie sie es immer tun, wenn sich irgendwo Autos stauen: Sie planen eine breitere Strasse. Zwischen 2012 und 2014 soll das Asphaltband von heute 5,50 Meter auf 8 Meter verbreitert werden. Zwar verspricht die Stadt, die Fahrspuren würden nicht verbreitert, es würden bloss beidseitige Trottoirs und je ein Velostreifen gebaut. Doch beruhigen kann das die Quartierbewohner nicht. Nicht nur, weil das gewachsene Ortsbild empfindlich beeinträchtigt würde, weil Teile des begrünten Ufers zugepflastert würden und Hausbesitzer einen Streifen ihrer Gärten opfern müssten. Sondern vor allem, weil die breitere Strasse mehr Verkehr anziehen dürfte.

Nun formiert sich im Quartier Widerstand.

«Wir und unsere Quartierbewohner haben die Schnauze voll», sagt Beni Weder. Den Beteuerungen der Stadt, der Verkehr werde nach den gegenwärtigen Umleitungen wieder abnehmen, glaubt er nicht: «Wir hören permanent penetrantes Blabla. Bei der Rosengartenstrasse warten wir schon seit 38 Jahren. Und geschehen ist bis jetzt nichts.» Wipkingen fürchtet, dass nun entlang dem Limmatufer eine weitere stark befahrene Einfallsachse droht, und zwar auf Dauer. Die IGAMW forderte deshalb

bereits an der Infoveranstaltung im letzten Dezember:

  • Tempo 30 von 22 bis 7 Uhr

  • Tempo 30 beim Schulhaus Am Wasser, nicht nur während der Schulzeiten,

Schwerverkehrverbot Tag/Nacht

  • Tempomessautomaten

  • Konsequentes Umleiten des Verkehrs während der Schliessung der Rampe Hardturmstrasse von der Hardbrücke über den Wipkingerplatz in Richtung Wipkingerbrücke, Hardturmstrasse, Pfingstweidstrasse.

Auf die Forderungen seien die Vertreter der Stadt nur bedingt eingegangen,

und viele Fragen seien offen, sagt Markus Roth, Gründungsmitglied der IGAWB. «Die Stadt kann leider – auch wenn sie das in diesem Fall gerne machen würde – nicht einfach die Wünsche der Bevölkerung umsetzen. Sie kann nur machen, was rechtlich möglich ist», hört man aus der Dienstabteilung Verkehr. Das Hauptproblem für die IGAWB wird darum sein, so Markus Roth, abzuschätzen, wo und wie weit die Stadt effektiv nur ihren formellen Verpflichtungen gegenüber dem Kanton nachkommt,

und wo sie hingegen Spielräume hat und in welcher Weise sie diese für oder gegen die Bevölkerung am Wasser/Breitensteinstrasse nutzt.

Die Quartiervereine Höngg und Wipkingen stellen ebenfalls Forderungen: «Wir wollen ein Gesamtverkehrskonzept für den ganzen Kreis 10 und nicht nur Pflästerli gerade dort, wo es am meisten weh tut und die nichts zur Verbesserung der Verkehrssituation

beitragen». Denn, und da sind sich Stahel und Weder einig: Der Verkehr kann nicht einfach irgendwo gedrosselt werden, ohne dass er an einem anderen Ort wieder auftaucht. Das sei eine Verkehrsstrategie, die an der Realität vorbeigehe. Das grösste Übel sei das Parteiengezänk. Permanent schiebe man sich zwischen Stadt und Kanton die Schuld in die Schuhe und so passiere nichts. «Stimmt nicht», betont das Tiefbauamt, «die Stadt und der Kanton streiten überhaupt nicht.» Das Gegenteil sei der

Fall – sowohl Stadt als auch Kanton seien bestrebt, für beide verträgliche Lösungen zu suchen. «Die Interessen sind diametral entgegensetzt», so Weder. Er glaubt nicht, dass diese idealisierte «Gesamtschau» aufgeht. «Es wird immer Individualverkehr geben, ob wir das wollen oder nicht.»

Gründung IGAWB, im Gemeinschaftsraum der Siedlung Eigengrund, Am

Wasser 102a: 26. Januar, 20 Uhr.